KOROTKIE VSTREČIKURZE BEGEGNUNGEN R: Kira Muratova Odessa in den 1960er Jahren. Eine Frau sitzt nachts am Schreibtisch. Sie soll eine Rede verfassen, aber Unruhe und der banale Alltag lassen ihr keine Ruhe. „Abwaschen oder nicht abwaschen, das ist hier die Frage“, die sich die Beamtin Valentina Ivanovna Sviridova stellt, und die ein ganzes Vehikel weiterer großer und kleiner Probleme in Erinnerung ruft. Als spät nachts eine traurige, junge Frau bei Valentina klingelt, rückt zumindest die Lösung des Abwasch-Dilemmas näher, denn es handelt sich um Nadja, die sich als Haushaltshilfe vorstellt. Zwischen diesen beiden sehr ungleichen Frauen und Valentinas abwesendem Ehemann, einem Geologen auf Expedition, entwickelt sich eine Dreiecksgeschichte, die in Rückblenden aus der Sicht der Frauen erzählt wird. Die Rolle des freiheitsliebenden Geologen, der nicht sesshaft werden will, wird vom Protestsänger und Liedermacher Vladimir Vysockij verkörpert, während die Regisseurin selbst in die Figur der Sowjetbeamtin schlüpft, zuständig für Wohnungsbau, in einer Zeit als massenweise billige Plattenbauten errichtet wurden.
Bereits in den ersten Minuten zeigt sich Muratovas Kunst, aus dem Spiel von Licht und Schatten, von Bild und Ton, von innerem Monolog und äußerer Wirklichkeit, von Zitat und Parodie, eine Mischung aus Poesie und Realismus, aus entlarvendem Humor und leiser Wehmut zu kreieren. Ihr Stil wird später mit den ganz großen Regisseur_innen des 20. Jahrhunderts verglichen, doch zunächst landeten Muratovas Filme in den Schubladen. Nach zeitweisem Berufsverbot begann der große Durchbruch 20 Jahre zeitverzögert, als ihre frühen Filme von der Zensurbehörde freigegeben wurden. 1990 wurde sie für DAS ASTHENISCHE SYNDROM auf der Berlinale mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet. Bereits vier Jahre später erhielt sie in Locarno den Ehren-Leoparden für ihr Lebenswerk. Weitere Auszeichnungen, darunter insgesamt sechs Mal der größte russische Filmpreis Nika, sollten folgen. Ihr wurden weltweit zahlreiche Werkschauen und Retrospektiven gewidmet, die erste 1988 in Créteil, die nächste folgt im November d. J. in Bonn. „Mit ihrer Kompromisslosigkeit geht Kira Muratowa neben Andrei Tarkowski, Aleksei German, der früh verstorbenen Larissa Schepitko und Aleksandr Sokurow als eine der bedeutendsten RegisseurInnen in die sowjetische Filmgeschichte der Periode nach dem Tauwetter ein.“ (Catherine Silberschmidt in www.woz.ch) Kira Muratova ist im Juni 2018 im Alter von 83 Jahren verstorben. UdSSR 1967; Regie: Kira Muratova; Drehbuch: Kira Muratova, Leonid Žuchovickij, Kamera: Gennadij Karjuk; Musik: Oleg Karavajčuk; Ton: Igor‘ Skinder; Schnitt: O. Charakova; Darsteller_innen: Kira Muratova, Vladimir Vysockij, Nina Ruslanova u.a.; (35mm; Schwarzweiß; 96min; russische ORIGINALFASSUNG MIT DEUTSCHEN UNTERTITELN)
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